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Eine
Warnung vorweg: Dieses Buch ist keine Biographie des grünen Spitzenpolitikers,
obwohl der Titel "Fischer in Frankfurt" dies nahe legt. Vielmehr
hat Wolfgang Kraushaar mehrere Aufsätze, die in den vergangenen
Jahren erschienen sind, zu einem Band zusammengefasst. Kraushaar
spannt dabei den Bogen vom Frankfurter Häuserkampf in den Siebziger
Jahren bis zur Amtszeit von Joschka Fischer als Außenminister.
Und das tut er sehr wohlwollend: "Vom Außenseiter zum Außenminister"
betitelt er die Entwicklung des Grünen Spitzenpolitikers. Die weniger
wohlwollende Variante hätte wohl "vom Bücherdieb zum Kriegsverbrecher"
gelautet - aber das kommt in dem Band nicht vor. Dennoch gelingen
Kraushaar als "teilnehmendem Beobachter" (so Iring Fetscher in seiner
Einleitung) aufschlussreiche Einblicke in die Entwicklung der Grünen-Spitze.
Kraushaar selbst hatte die Entwicklung der Außerparlamentarischen
Opposition (APO) und des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes
(SDS) in den Sechziger Jahren aus nächster Nähe miterlebt.
So erfährt die Leserschaft, dass Fischers Weggenosse Daniel Cohn-Bendit
eigentlich nur durch ein Missverständnis in den Ruch kam, an der
Spitze einer sozialen Bewegung zu stehen. Bei einer Schwimmbad-Einweihung
an der Universität Nanterre im Januar 1968 stellte sich Cohn-Bendit
dem französischen Sport- und Jugendminister François Missoffe in
den Weg, bat um Feuer und fragte, warum Missoffe in seinem "Weißbuch
über die französische Jugend" das Problem der Sexualität mit keinem
Wort erwähnt habe. In der Folge wird Cohn-Bendit eine Symbolfigur
der Achtundsechziger, der seine Ausweisung aus Frankreich geschickt
nutzte, um einen Mythos um sich selbst zu schaffen - der allerdings
mit einer politisch revolutionären Haltung herzlich wenig zu tun
hatte. Schon 1969 ahnte Jean Améry: "Das, was Cohn-Bendit und seine
Freunde das >Establishment< nennen, hat eine gewaltige Integrationskraft.
Es wäre erstaunlich, wenn nicht die etablierte Ordnung eines Tages
auch diesen Ordnungsstörer sanft absorbieren und sich zunutze machen
würde."
Womit das Thema "Realpolitik" angerissen wäre. In Kraushaars Band
wieder abgedruckt ist sein Aufsatz "Realpolitik als Ideologie -
Von Ludwig August von Rochau zu Joschka Fischer", der zuerst im
Juli 1998 in der Zeitschrift "1999" erschienen ist. Kraushaar zieht
die Parallelen zwischen dem Burschenschaftler Ludwig August von
Rochau, der 1836 in Frankfurt wegen der Teilnahme an einem Bauernaufstand
zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde, und dem späteren deutschen Außenminister
Fischer. 1853 verfasste der - zwischenzeitlich nach Frankreich geflohene
- Rochau seine "Grundsätze der Realpolitik". Fragen wie die der
Legitimität von Herrschaft, nach Recht, Wahrheit und Moral verbannt
Rochau in den Bereich philosophischer Spekulation; das alleinige
Kriterium für Geschichte und Politik liege im Erfolg. So gelingt
Kraushaar ein gewagter Versuch, biographische und politische Brücken
über eineinhalb Jahrhunderte zu schlagen. Dennoch zeigen sich, so
Kraushaar erstaunliche Parallelen: Rochau sei "ein enttäuschter
48er, ein gebrochener Radikalliberaler", Fischer "ein enttäuschter
68er, ein gebrochener Linksradikaler". Bei beiden sei "Realpolitik
als Ideologie nichts anderes als Ausdruck intellektueller und moralischer
Kapitulation".
Wolfgang
Kraushaar, Fischer in Frankfurt - Karriere eines Außenseiters, Hamburger
Edition 2001, 256 Seiten, 18,00 EUR
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