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Die
besten Ideen kommen Antje Radcke immer erst hinterher. Im November
1999 erhielt die damalige Vorstandssprecherin der Grünen die Möglichkeit,
eine - wie sie sich erinnert - "viel beachtete und mit starkem Applaus
quittierte" Rede auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall in Hamburg
zu halten. Radcke empfand das als "besonderes Highlight" ihrer Karriere.
So beschreibt sie in "Das Ideal und die Macht" ihre 19monatige Zeit
als Vorstandssprecherin (Dezember 1998 bis Juni 2000). Was Radcke
in ihrem Rückblick nicht schreibt: Erst am Parteienabend nach ihrer
Rede fiel ihr ein, dass sie die IG Metall-Delegierten nicht hätte
siezen müssen, sondern das gewerkschaftliche "Du" angebracht gewesen
wäre. Radcke: "Eigentlich bin ich ja auch Gewerkschafterin; ich
bin ja in der GEW." Da war es aber wie gesagt zu spät.
Wie das Spiel mit der Macht funktioniert? Radcke weiß es auch
nach eineinhalb Jahren an der Grünen-Spitze nicht. Weite Passagen
des Buches sind reines Betroffenheits-Gedusel: Wie sie von Bundeskanzler
Gerhard Schröder zum Bier eingeladen wurde und versuchte, sich dem
kumpelhaften "Du" zu entziehen, indem sie es bei der Ansprache des
Bundeskanzlers krampfhaft umschiffte. Wie sie während des Kosovo-Krieges
ins Verteidigungsministerium zu einer "Kleinen Lage" eingeladen
wurde, Szenarien und reale Bilder vom Krieg sah und sich anschließend
in ihrem Büro erst einmal ausheulte. Radcke: "In meinem Kopf rasten
die Gedanken - klare waren nicht dabei."
Das sind keine guten Voraussetzungen, um ein Buch zu schreiben.
Aber Antje Radcke hat es getan. Und die Episode ist bezeichnend
dafür, wie sie mit ihrer eigenen Rolle im Kosovo-Krieg umgeht. Einstimmig
- also mit der Stimme Radckes - hatte der Bundesvorstand für die
Bundesdelegiertenkonferenz in Bielefeld im Mai 1999 eine Vorlage
beschlossen, die die Kriegsteilnahme Deutschlands billigte. Radcke
trug damals den Beschlussvorschlag der "Realos" mit in der "Gewissheit,
dass auch ohne deutsche Beteiligung die Bombardements seitens der
NATO weitergehen würden". In der Folge - da hat Radcke ausnahmsweise
Recht - "starben persönliche und politische Freundschaften, starb
der organisierte linke Flügel der Partei, starben Hoffnungen und
Illusionen". Was Radcke - wieder einmal - vergisst: In Jugoslawien
starben mit deutscher Beteiligung weiter Menschen.
Während Rackes Co-Vorstandssprecherin Gunda Röstel wenigstens
Sinn und Zweck der Grünen erkannte, indem sie sich nach dem Atomkonsens-Parteitag
der Grünen im Juni 2000 von Gelsenwasser, einer Tochter des Atomkonzerns
Eon, für die Niederschlagung der grünen Atomopposition mit einem
gut bezahlten Posten bezahlen ließt, bleiben im Fall Radcke nur
zwei Fragen: Warum hat sie Politik gemacht? Und warum bei den Grünen?
Die Antwort auf die zweite Frage gibt sie immerhin selbst: Die haben
von allen Parteien die beste Kinderbetreuung.
Antje
Radcke, Das Ideal und die Macht - Das Dilemma der Grünen, Henschel
Verlag 2001, 272 Seiten, 20,00 EUR
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