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Abgeordnete
sind "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen
unterworfen". Das ist die Theorie und steht in Artikel 38 des Grundgesetzes.
Die Praxis sieht anders aus. Das beschreibt Christian Simmert in
seinem Buch "Die Lobby regiert das Land". Vier Jahre lang (1998
bis 2002) hat Simmert die Grünen im Bundestag vertreten. Danach
wollte er nicht mehr.
Simmert, 1972 geboren, war einer der jüngsten Abgeordneten überhaupt
und hält Rückblick auf seine vier Jahre im Parlament. Detailliert
beschreibt er die Wendepunkte in der Politik der Grünen: die Kriege
um den Kosovo und in Afghanistan, den sogenannten Atomausstieg.
Der "Atomausstieg" zum Beispiel findet sich in der Bundestags-Drucksache
14/6890 wieder, die das Parlament im Dezember 2001 verabschiedete.
Doch von einem "Ausstieg" kann keine Rede sein: In der 14. Legislaturperiode
des Bundestages ist kein einziges Atomkraftwerk vom Netz genommen
worden; mit der Atomlobby wurden - im Gegenzug dafür, dass sie auf
angedrohte Klagen verzichtete - sehr lange Gesamtlaufzeiten von
32 Jahren vereinbart. Mit den ursprünglichen Zielen der Grünen hatte
das relativ wenig zu tun. Simmert beklagt, dass nicht die Parlamentarier
die Entscheidung fällten, sondern nur noch nachvollzogen, was die
Atomlobby ihnen vorgesetzt hatte: "Nicht die Parlamentarier des
Deutschen Bundestages, sondern die Regierung in Zusammenarbeit mit
Interessenverbänden hatte den Konsens vor den Türen des Parlaments
verhandelt."
Den größten Teil des Buches nimmt freilich der Bundestagsbeschluss
für den Krieg in Afghanistan ein. Simmert gehörte zu den acht Grünen-Abgeordneten,
die öffentlich bekundet hatten, sie würden gegen den Bundeswehreinsatz
stimmen - und er war einer von vieren, die das noch durchhielten,
nachdem Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Abstimmung mit
der Vertrauensfrage verknüpft hatte. Simmert schildert den Druck,
den er und die anderen Abgeordneten ausgesetzt waren - nicht nur
durch Schröders Erpressung der Abgeordneten, sondern auch durch
Vize-Kanzler Joschka Fischer (Grüne). Eine Fraktionssitzung beendete
Fischer dadurch, dass er sagte: "Ich klebe nicht an meinem Sessel",
aufstand und im Hinausgehen die Fraktion aufforderte, ihn anzurufen,
ob der von der UN-Generalversammlung in New York, zu der er reisen
würde, überhaupt zurückkommen sollte.
"Die Lobby regiert das Land" ist weniger eine Auseinandersetzung
mit dem Einfluss der Interessengruppen (erst recht keine wissenschaftliche
Untersuchung) als vielmehr eine Schilderung der Aktivitäten der
Partei-Lobby, deren übergeordnetes Ziel das Regieren (oder besser:
der Erhalt von Regierungs-Posten) ist. Simmert erinnert daran, wie
der ehemalige außenpolitische Fischer-Widersacher Ludger Volmer
plötzlich zum Fischer-Freund wurde - nachdem feststand, dass er
Staatssekretär im Außenministerium werden würde. Oder die zahlreichen
Einzelgespräche, die Abgeordnete mit der Fraktionschefin Kerstin
Müller führen mussten, wenn sie von der Fraktionslinie abzuweichen
gedachten. Und so gelingt Simmert, was die meinsten seiner wahlkämpfenden
Parteifreunde wenig begeistern dürfte: Ein interessanter enthüllender
Blick hinter die Kulissen der Grünen-Bundestagsfraktion.
Christian
Simmert, Die Lobby regiert das Land, Argon-Verlag 2002, 272 Seiten,
19,90 EUR
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